Juliane von Fircks

 


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Mit Stoffen malen – Anmerkungen zu der Serie

„40 Kerzen (eine nach der anderen)“

Terry Buchholz kommt aus der Malerei, sie denkt in Farben. Doch schon kurz nach ihrem Studium geht das Interesse an konventioneller Malerei als Medium des persönlichen Ausdrucks verloren. Doch das Gebanntsein von den Farben bleibt. Farbe an sich besitzt für sie eine geistige Qualität, ist etwas Immaterielles. Terry Buchholz beginnt mit Farben im Zusammenhang mit Stoffen zu experimentieren. Anregung bietet die abstrakte amerikanische Malerei, die Art und Weise, in der Marc Thobey und Sam Francis reine Nesselstoffe anstelle von Leinwand bemalten, ohne sie zu grundieren, um die Struktur der Gewebe mitwirken zu lassen. Für Terry Buchholz bedeutet der Umgang mit textilem Material eine besondere Art von Malerei mit verändertem Ausgangsmaterial. Die Farben findet sie nun in Form gebrauchter Stoffabschnitte vor. Ein bestimmter Farbton erscheint stets in Verbindung mit textiler Oberflächenstruktur. Die Künstlerin kauft keine Stoffe, sie findet sie oder sie begegnen ihr. Das Suchen und Auffinden der Stoffe ist bereits Teil der Arbeit, der Beginn der Komposition. Dazu gehört eine emotionale Bewegtheit, die ein geistiges und körperliches Sich-Bewegen beinhaltet. Dies bedeutet, an einem bestimmten Tag, in einer bestimmten Stimmung ein Revier, ein umgrenztes Gebiet von Straßen, in ihrer Stadt abzuschreiten. Buchholz wandert herum, um zu sehen, was es da an Textilem zu finden gibt, in Läden, aber auch in Containern (etwa nach Fastnacht), wenn textile Überreste der Feierkultur abgelegt und weggetan werden.

Für die Objektfixierung auf Textilien, die Terry Buchholz seit langem künstlerisch fruchtbar zu machen weiß, stellte der frühe Weggang von zuhause ins Internat eine Art Schlüsselerlebnis dar. Dahin durfte ein geflochtener Koffer mit Bettwäsche und Wäsche mitgenommen werden, der optisch und haptisch die Erinnerung verkörperte. Textilien, die in ihrer leicht ausgeblichenen Farbe, bestimmten Mustern und der ihnen eigenen Oberflächenbeschaffenheit vertraute Vergangenheit, die eben verlassene Kindheit transportierten. Die als lebendig empfundene Gegenwart dieser Stoffe wurde noch dadurch verstärkt, dass alle Schülerinnen durch Vorhänge abgetrennte Zellen bewohnten, in der das Bett und eine Waschgelegenheit und – im Falle von Terry Buchholz – ein oranges Sofa Platz fanden. Noch heute setzt der Anblick der gebrauchten, vor der Montage zunächst auf einem alten Bügelbrett gestapelten Stoffstücke, die Spuren des eigenen oder fremden Lebens tragen, in der Künstlerin Erinnerungen an bestimmte, bildhaft im Gedächtnis haftende Situationen frei. Die gemusterten Textilien fungieren als Vehikel für Gefühle und Bedeutungen, die sich mit gelebten Situationen verbinden. Auf ihren Wegen durch die Stadt Terry Buchholz sucht farbige und gemusterte Stoffe aus wie die Zutaten zu einem Gericht.

Der bildhafte Titel„40 Candles – 40 Kerzen,“ den Terry Buchholz ihrer Arbeit gab, steht für den Vorgang der inneren Bewusstwerdung. Es geht um das Lauschen auf das unaufhörliche Verstreichen der Zeit. Aus zeitlicher Perspektive dokumentiert der Titel die Werkentstehung als Prozess: Vierzig Kerzen einer bestimmten Sorte verbraucht man in 5-6 Wochen. In dieser Zeit wurden alle der für diese Komposition aufgefundenen Stoffe verarbeitet. „40 Kerzen“ besteht aus sechs aufeinanderfolgenden „Friesen“. Jeder ist einem Wochentag zugeordnet und trägt dessen Namen. Alle Friese bestehen aus sechs Quadratfeldern, die mit jeweils unterschiedlichem Stoffen bespannt sind. Der Montag ist zuerst gefertigt worden. Er gibt das Thema vor, zu dem sich die folgenden fünf Friese „Dienstag“ bis „Samstag“ wie Variationen verhalten. Über den Zeitraum von „40 Kerzen“ hinweg wurden „Montag“ bis „Samstag“ geschaffen. Zusätzlich entstanden die Filmsequenzen, die das Ausgangsmaterial für das Video „Sonntag“ bildeten.

Der Auftakt der Serie, der Fries „Montag“, zeigt vier unterschiedlich gemusterte Felder, die seitlich von zwei rosa Quadratfeldern eingefasst werden. Diese wirken als optische Klammer für das auf den vier inneren Feldern entfaltete spannungsvolle Spektakel aus aufeinandertreffenden, einander widerstrebenden Farben und Formen. Das sanfte und doch intensive Rosa der seitlichen Quadrate fungiert als eine Art Mittelton für das in diesem ersten Fries entfaltete Farbspektrum. Von diesem Grundton, der auf zwei Feldern wiederkehrt, die mit duftigen Blumenmotiven gemustert sind, heben sich andere, lautere Farbtöne ab, die mit dem Rosa und untereinander kommunizieren. Die Farben des Frieses werden über die Stoffmuster wahrgenommen. Deren ornamentale Ordnung verweist unmittelbar auf das Medium des Textils. So ruft das strenge Karomuster des zweiten Farbfeldes mit seiner Palette, die von Weiß, Gelb, zu Türkis und Grünen bis hin zu Weinrot und Dunkelrot reicht, die Assoziation an ein Geschirrtuch hervor. Doch der glatt aufgespannte Stoff und das Eingebundensein des Feldes in die strenge Ordnung des Frieses neutralisieren dieser Eindruck sogleich wieder. Die bildhafte Wirkung der Stoffe, die auf flache Träger aufgezogen und zu einer Komposition vereinigt sind, überwiegt. Schließen die beiden Felder mit den Blumenmustern harmonisch an die als Fond fungierenden, rosa Platten an, so bildet das vierte Feld von links den eigentlichen Höhepunkt des Frieses. Mit breiten schwarz-gelben Querstreifen versehen, liegt es rechts von der Mitte des Frieses. Auf den ersten Blick scheint es in die Komposition aus Rosa, Türkis- und Grüntönen „einfach nicht hineinzupassen“. Die schwarz-gelben Streifen drängen sich aufgrund ihrer strukturellen Klarheit nach vorn. Sie verleihen dem Fries räumliche Plastizität und Tiefe. Stellenweise scheint zartes Gelb auch in den drei anderen, von den äußeren rosa Quadraten gerahmten Feldern auf. Dieses Aufblitzen von Gelb bindet das dominante gelb-schwarze Feld zurück in den Fries und fördert das fragende Hin- und Herwandern des Betrachterauges. Der Fries offenbart sich dem länger verweilenden Blick als höchst komplexes Gefüge aus Farben, die an Muster gebunden hervortreten, Farben, die sich anziehen und abstoßen und untereinander um den Vorrang im Konzert der Töne zu ringen scheinen. Mit dem „Montag“ ist ein Auftakt geschaffen, der nach der Fortsetzung in „Dienstag“ bis „Freitag“ verlangt. 

Zum Video Sonntag:

Das Video „Sonntag“ stellt keine Dokumentation des Werkprozesses dar, sondern eine begleitende Reflexion über die Arbeit „Vierzig Kerzen“. Der filmische Kommentar wird aus einem weichen nuancenreichen Grauton heraus entwickelt, der als die Quintessenz und die Summe aller Farben zu gelten hat. Über mehr als fünf Minuten hinweg werden in langsamer Folge Sequenzen von Spiegelungen gezeigt, die sich in den Fensterscheiben des Ateliers der Künstlerin verfangen haben. Das Auge der Kamera dokumentiert – gleichsam mit ruhigem Blick –  die ephemeren Kompositionen, die sich aus den zufällig übereinander gelagerten, auf dem Scheibenglas sich abzeichnenden Bildern des Innen- und Außenraumes der Wohnung der Künstlerin ergeben, die an einem Düsseldorfer Bahnhof und einer verkehrsreichen Straße gelegen ist. Festgehalten wird eine Welt rhythmischer Bewegtheit und des steten Wandels: anfahrende und rasch beschleunigende Züge und S-Bahnen und im Zyklus der Ampeln startende Autos. Das Muster der Pflastersteine, die Markierungen auf den Straßen oder das über den Gleisen von Mast zu Mast ausgespannte Netz von Hochspannungsleitungen geben das ordnende Raster ab. Sie sind Wegmarken auf einer Reise ohne Anfang und Ziel, die sich als beständige Wiederholung des Nicht-Mehr und eines Noch-Nicht beschreiben lässt. Wie die Arbeit „Vierzig Kerzen“ sucht auch das zugehörige Video die Zeit in ihrer Wesenheit als unerbittlich fließenden Mahlstrom, als das unaufhörliche und unaufhaltsame Verrinnen aufeinanderfolgender Augenblicke zu erfassen. In der Form sich überlagernder Reflexe auf dem Fensterglas wird diesem Außen ein Innen gegenübergestellt, das durch Bücherbord, Teekanne, Bügeleisen und Bügelbrett bezeichnet wird. Durch die gespiegelte Silhouette eines vorbeifahrenden Schnellzuges hindurch tastet sich das Kameraauge langsam über einen Berg von gemusterten Stoffen hinweg, der auf dem Bügelbrett lagert. Trotz der beabsichtigten Beiläufigkeit, mit der der Blick über jedes Motiv gleichermaßen hinweg zu gleiten hat, gewinnt das filmische Dokument in dieser Sequenz ein Höchstmaß an farblicher Intensität und graphischer Struktur: Es sind die Ausgangsmaterialien für den „Mittwoch“, die auf dem Brett vorsortiert ihrer Verarbeitung zu harren scheinen. Aus dem Hintergrund schimmert gar ein bunter Stoff aus dem „Montag“ hervor. Die locker gelegten, teils ein wenig geknüllten Textilien,  die in strengster Flächigkeit ausgebreitet auf den sechs Friesen der „Vierzig Kerzen“ wiederkehren, dürfen hier in vollem Maße ihren stofflichen Charakter entfalten.  Der abstrahierende Prozess der Verwandlung und Umdeutung der Textilien in Malerei hat noch nicht stattgefunden. Anhand der Spiegelungen auf den Fensterscheiben ihrer Wohnung, deren seltsame Erscheinungsweise im Film dokumentiert wird, thematisiert Terry Buchholz das gleichzeitige und parallele Vorhandensein zweier unterschiedlich ausgerichteter  Zeitschienen, die eine führt vom Jetzt in die Zukunft, die andere markiert den Weg vom Heute in die Vergangenheit. Im Zentrum steht aber steht das Nachdenken über das Werk. 

Juliane von Fircks, Mainz 2011


Texte 40 Kerzen