Georg Minkenberg


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Kein schöner Land

Terry Buchholz in der Domschatzkammer Aachen

Seit 1996 finden in der Aachener Domschatzkammer einmal jährlich Ausstellungen mit zeitgenössischer Kunst statt. Eingeladen sind meist junge Künstler, deren Arbeiten einen - häufig nicht auf den schnellen Blick erkennbaren - Bezug zum Domschatz haben. In diesen Ausstellungen soll deutlich werden, dass die inhaltliche Aussage der Schatzstücke nicht der Vergangenheit angehört, sondern Fragen von auch heute noch existenzieller Bedeutung aufgreift. Daher werden die aktuellen Kunstwerke niemals separiert sondern in unmittelbarem Kontext zu den mittelalterlichen Schatzstücken präsentiert: Für die Künstler eine schwierige Herausforderung, für manche Besucher eine angenehme oder unangenehme Überraschung. In jedem Falle entsteht ein fragenreiches Spannungsfeld, das auch den mittelalterlichen Objekten zu Gute kommt, entreißt es sie doch dem allzu häufigen Klischee „Nur Alt-Schön-Kostbar“.

Dieser Herausforderung stellt sich in der Ausstellung „Kein schöner Land“ vom 11. September bis zum 11. Dezember 2011 die Düsseldorfer Künstlerin Terry Buchholz. Der Titel wurde von ihr selbst gewählt. Zeitgleich präsentiert ihr Düsseldorfer Künstlerkollege Markus Mussinghoff, mit dem Terry Buchholz schon mehrfach gemeinsam gearbeitet hat, in der Karlskapelle des Aachener Domes unter dem Titel „In dieser Zeit“ eine raumgreifende Holzinstallation. Die beiden Ausstellungen eröffnen im Gedenken an das Geschehen, die Toten, die Trauernden, nicht ohne Grund am 11. September. 

Buchholz und Mussinghoff sind in Aachen keine Unbekannten. Zum Jahreswechsel 2001/ 2002 organisierten sie gemeinsam mit dem Autor und in Zusammenarbeit mit dem Artists` Museum, Lodz,  und Creating Peace, Tel Aviv, unter dem Titel „der werfe den ersten Stein" in der Domschatzkammer die bewegende Ausstellung der  "Milestones for Peace". Damals auch entstand das zehn Jahre später nun eingelöste Versprechen einer eigenen Ausstellung an diesem Ort.

Terry Buchholz, geboren 1956, hat viele Jahre in New York gelebt. Sie ist Malermeisterin, Meisterschülerin der Hochschule der Künste, Berlin, und ausgebildete Mediendesignerin. Sie erhielt mehrere Preise, darunter den Kunstpreis des Landes Rheinland-Pfalz und hat neben Einzelausstellungen an zahlreichen Gruppenausstellungen teilgenommen. Sie hat Drucke und Bücher, darunter das vorliegende Katalogheft, gestaltet. Ursprünglich ausgehend von der Malerei und dem Umgang mit Farben widmet sie sich Farbschichtungen, Reliefarbeiten, textilen Arbeiten, Installationen, dem Objet trouvé, dem gefundenen, entdeckten  und von der Künstlerin "für Wert" befundenen Objekt, der Videokunst, Soundaufnahmen und Fotoarbeiten. Die Ausstellung in der Domschatzkammer zeigt Beispiele aus allen diesen künstlerischen Sparten.

Ein wichtiger Teil des Aachener Domschatzes sind die Reliquien, d.h. die "Überreste" von Heiligen, und ihre Behälter, die Reliquiare, deren Kostbarkeit die Bedeutung der Reliquien deutlich macht.

Viele der Arbeiten von Terry Buchholz könnte man zwanglos als persönliche, biographische Reliquien und Reliquiare bezeichnen, die an Menschen und Geschehnisse der Vergangenheit erinnern, sie in der Erinnerung vergegenwärtigen und durch ihre Machart auch die Kostbarkeit dieser vergegenwärtigenden Erinnerung darstellen. Es entsteht so etwas wie die bruchstückhafte imaginäre Erzählung eines imaginierten, da vom Betrachter real nicht geteilten, Lebens.

So, wie die wichtigsten Reliquien des Aachener Domes, die sog. Heiligtümer, antike Alltagstextilien sind, so verbinden sich auch im Werk von Terry Buchholz alltägliche Dinge mit Inhalten, die weit  über das banale Material hinausweisen, ihrerseits aber wiederum dazu führen, das Material weit über seinen eher geringen materiellen Wert hinaus zu achten und entsprechend zu präsentieren. Ein Beispiel sind die „Schmetterlingsfänger“, deren Titel sich auf die Darstellungen auf dem eigenen Babyhandtuch beziehen. Dieses Handtuch von 1956 wird zum sorgfältig präsentierten Erinnerungsbild, zur gefassten Reliquie der eigenen Kindheit mit poetischem Titel. Textilien sind eine Grundbedingung menschlicher Existenz von der Geburt bis in den Tod.

Auch  in der künstlerischen Bearbeitung und Umformung werden die Eigenheiten des ausgesuchten Materials akzeptiert, was den Betrachter irritieren mag: „Warum wird ein Stoff präsentiert, als sei er ein Bild? Genau darin aber liegt die Absicht, in der Aufforderung, darin ein Bild zu „sehen“, Spuren eines fremden wie des eigenen Lebens zu finden.

Eine in den Arbeiten von Terry Buchholz durchaus vorhandene fröhlich-farbige Plakativität, eine bunte Vielfalt von hohem sinnlichem Reiz, führt den, der sich auf diese Arbeiten einlässt, schnell zu sehr subtilen Fragen: Was ist Zeit? Was ist kostbar? Was ist Schönheit, was schöner Schein und was Wahrheit? Was lässt sich einfangen aus der flüchtigen Zeit? Was ist wirklich wichtig? Wie kann man dem Lärm die Stille abtrotzen? Leben aus dem Koffer? Woher komme ich, wo bin ich jetzt, wohin gehe ich? Bin ich stets im Aufbruch? Wo bin ich zuhause „mit Herz und Sinn“? Wo werde ich ankommen? Was bleibt?

Terry Buchholz nennt ihr ganz persönliches Lebensthema „Unregelmäßige Behausungen", sie bezeichnet sich als „Nomaden im eigenen Land“. Die Christen der ersten Jahrhunderte nannten sich „Menschen des Weges“: „Wir haben hier keine bleibende Stadt.“ (Hebr). Terry Buchholz selbst sagt: „Der Koffer ist der Ort der Wünsche, Sehnsüchte und Entscheidungen“.  

Eine wesentliche Rolle vor allem in den Videos spielt die verrinnende Zeit und die  Bestimmung des Hier und Jetzt als Ende eines Weges aus der Vergangenheit in das Heute und als Anfang eines Weges in das Morgen. Hat der Weg ein Ziel?

Das Werk der Terry Buchholz „ist wie eine Erzählung mit vielen Assoziationen, Traumsequenzen, Nebulösem wie ebenso messerscharfen Erinnerungen“. Man hat die künstlerische Welt der Terry Buchholz ein „poetisches Gesamtszenarium“ genannt, dem die Künstlerin für die Ausstellung in der Schatzkammer den Titel „Kein schöner Land“ gegeben hat, ein beziehungsreicher Titel, den man politisch und gesellschaftspolitisch ironisch deuten mag, den man auf die alten Schatzstücke als Formulierung einer christlichen Hoffnung auf eine zugesagte heilige und heile Heimat deuten mag oder auch als ein altes Lied der Erinnerung an Verlorenes und vieles mehr:

Kein schöner Land in dieser Zeit
als hier das uns´re weit und breit
wo wir uns finden
wohl unter Linden
zur Abendzeit

       Da haben wir so manche Stund´
gesessen da in froher Rund
Und taten singen
die Lieder klingen
im Eichengrund

       Dass wir uns hier in diesem Tal
noch treffen so viel hundertmal
Gott mag es schenken
Gott mag es lenken
er hat die Gnad

     Nun Brüder eine gute Nacht
der Herr im hohen Himmel wacht
in seiner Güte
uns zu behüten
ist Er bedacht

Das 1838 entstandene Abendlied von Anton Wilhelm von Zuccalmaglio ist eines der bekanntesten deutschen Volkslieder, in dem sich Gegenwart, Erinnerung, Hoffnung und Bitte um Schutz und Segen angesichts der hereinbrechenden Nacht verbinden. Es beinhaltet wohl auch eine Reflexion über das eigene Leben  und dessen letzten Abend. Wie dieses Lied und wie der Domschatz möchte Terry Buchholz zum Innehalten, zum Betrachten und Begreifen, einladen. 

Georg MInkenberg, Aachen 2011


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